Griechenland fordert Reparationen von Deutschland




Der deutsche Generalfeldmarschall von Brauchitsch (Mitte links) nach der Eroberung Griechenlands auf der Athener Akropolis, Mai 1941 Foto: pa/akg-images
 
 
Der deutsche Generalfeldmarschall von Brauchitsch (Mitte links) nach der Eroberung Griechenlands auf der Athener Akropolis, Mai 1941 – Foto: pa/akg-images
Eine noch streng geheimer Bericht listet Milliarden-Kosten der Zerstörungen auf, die die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg in Griechenland anrichteten. Die Wut auf die aktuelle EU-Politik Deutschlands spielt dabei eine Rolle.

Es geht um Geld, sehr viel Geld: 100, 160, vielleicht sogar 300 Milliarden Euro. So viel schuldet Deutschland angeblich den Griechen für Massaker und Zerstörungen, die deutsche Besatzer im Zweiten Weltkrieg in Griechenland anrichteten. 68 Jahre nach Kriegsende ist das Thema deutscher Reparationen aus Sicht vieler Griechen aktueller denn je.
Dass im Zuge der griechischen Schuldenkrise die Reparationsfrage wieder auf die Tagesordnung kommen würde, war abzusehen. Das, was viele Griechen als „Merkels Spardiktat“ empfinden, weckt seit drei Jahren antideutsche Emotionen.
Oppositionsparteien, vom radikal-linken Bündnis Syriza bis zu den rechts-nationalistischen Unabhängigen Griechen, drängen die Regierung, Deutschland endlich mit seiner Schuld und seinen Schulden zu konfrontieren. Um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, setzte Finanzminister Giannis Stournaras nach der Wahl vom vergangenen Juni eine Arbeitsgruppe ein, die auflisten sollte, um welche Forderungen es geht. Anfang März lieferten die Prüfer ihren Bericht ab. Er umfasst 80 Seiten und ist als „streng geheim“ klassifiziert.
War bisher nur von Reparationen für die Besatzungsjahre 1941-44 die Rede, lässt die griechische Regierung nun auch Forderungen aus der Zeit des 1. Weltkriegs prüfen, wie das Athener Außenministerium diese Woche mitteilte. Damit könnte sich die Summe, um die es geht, dramatisch erhöhen – wegen der seit 1918 aufgelaufenen Zinsen. Auf welchen Betrag die Berichterstatter die Reparationsforderungen beziffern, ist unbekannt. Das Finanz- und das inzwischen ebenfalls eingeschaltete Außenministerium halten den Bericht unter Verschluss. Aber Zahlen kursieren seit Jahren. Der frühere Widerstandskämpfer Manolis Glezos, der zum Nationalhelden wurde, als er in der Nacht zum 30. Mai 1941 die Hakenkreuzfahne auf der Akropolis einholte und dort die Griechenflagge hisste, beziffert die Reparationsforderungen auf 108 Milliarden Euro. Hinzu kommen weitere 54 Milliarden für einen Zwangskredit bei der Bank von Griechenland, mit dem die Deutschen den Griechen auch noch die Kosten für die Verpflegung und den Sold der Besatzungssoldaten aufbürdeten. Unter dem Strich wären das 162 Milliarden Euro. Andere Schätzungen gehen in eine Größenordnung von 300 Milliarden.
Viel Geld – aber auch viel Leid: In wenigen besetzten Ländern haben die Deutschen so gewütet wie in Griechenland. In den dreieinhalb Besatzungsjahren wurden rund 130 000 griechische Zivilisten exekutiert, darunter Frauen, Kinder und Greise – meist als „Sühnemaßnahmen“ für Partisanenangriffe. 70 000 griechische Juden wurden in die KZs verschleppt. 300 000 Griechen erfroren und verhungerten, weil die Deutschen Lebensmittel und Brennstoffe konfisziert hatten. 500 000 Wohnungen, 50 Prozent der Industrie und 75 Prozent des Straßen- und Schienennetzes wurden zerstört. 1960 zahlte Deutschland 115 Millionen D-Mark Entschädigung an Griechenland. Das Geld war vor allem für die Hinterbliebenen der ermordeten Juden bestimmt. Auf Reparationen für die angerichteten Schäden und die Rückzahlung der Zwangsanleihe warten die Griechen bis heute vergeblich.
Vor 13 Jahren besuchte der damalige Bundespräsident Johannes Rau das griechische Bergdorf Kalavryta, wo die Besatzer am 13. Dezember 1943 fast 700 Einwohner als Vergeltung für einen Partisanenüberfall exekutierten. „Ich empfinde an diesem Ort tiefe Trauer und Scham“, sagte Rau. Reparationen konnte er nicht zusagen, versprach jedoch, sich für „eine Geste“ einzusetzen. Aber auch die ist ausgeblieben. Nach offizieller deutscher Lesart hat sich das Thema längst erledigt. Fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende stelle sich die Frage deutscher Reparationen nicht mehr, heißt es. Griechenland dagegen betrachtet das Thema als offen: Man behalte sich vor, „eine befriedigende Lösung zu finden“, erklärte kürzlich Vize-Finanzminister Christos Staikouras.
Die griechische Regierung befindet sich in der Frage allerdings in einem Dilemma. Ein Verzicht auf die Reparationsforderungen würde in Griechenland einen Sturm der Empörung auslösen. Andererseits will Ministerpräsident Antonis Samaras sein gerade erst mühsam repariertes Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mit Milliardenforderungen belasten. Die Vorstellung, dass Griechenland mit den geforderten Reparationen einen Großteil seiner Staatsschulden abtragen könnte, ist zwar verlockend – aber nicht sehr realistisch, zumal bisher alle Versuche griechischer Kläger, deutsche Entschädigungen vor griechischen, deutschen und internationalen Gerichten zu erstreiten, gescheitert sind.
Die Athener Regierung schiebt das heikle Thema deshalb vor sich her. Nachdem der Bericht der Expertengruppe seit März vorliegt, hat das griechische Außenministerium diese Woche ein Rechtsgutachten staatlicher Juristen in Auftrag gegeben. Sie sollen den Bericht prüfen. Das kann dauern. Und soll es wohl auch.
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