Das in der Ukraine ausgehandelte Abkommen wurde nicht
eingehalten. Für eine Lösung muss auch die neue Regierung in Kiew
Zugeständnisse machen. Ein Dreipunkteplan
Das am 21. Februar von den Anführern der ukrainischen Opposition und dem Präsidenten Janukowitsch unterschriebene Abkommen
sollte einem Kompromiss zwischen den gegnerischen Parteien dienen. Es
sollte den drei Monate andauernden zugespitzten gesellschaftlichen
Konflikt beenden und eine Stabilisierung der Lage in der Ukraine
erreichen. Doch die sogenannte "Realisierung" dieses Abkommens entsprach
dann nur dem Interesse einer Seite: der Opposition. Dies lag an der
brenzligen Situation in Kiew und den westlichen Regionen nach den blutigen Geschehnissen am 20. Februar (dazu sollte zweifelsohne ein Ermittlungsverfahren unter Einbeziehung internationaler Experten eingeleitet werden).
Die Gewinner der Kiewer Auseinandersetzung begannen sofort mit
umfangreichen politischen Reformen, welche weit über den im Abkommen
festgelegten Rahmen hinausgingen. Zur gleichen Zeit aber ignorierten sie
grundlegend den Willen von Millionen Bürgern der Süd-Ost-Ukraine. Nicht
nur gegen das Abkommen vom 21. Februar verstießen sie mehrfach, sondern
auch gegen die Verfassung aus dem Jahr 2004, welche am selben Tag durch
das Parlament wieder eingeführt wurde.
Der fatalste Verstoß
war, Präsident Viktor Janukowitsch aus dem Amt zu entfernen, ohne
dass dieser zurückgetreten wäre oder es eine formale
Amtsenthebungsklage gab. Sein Nachfolger Alexander Turtschinow hat
zwar auf legitimem Wege und im Rahmen des Abkommens das Amt des
Parlamentssprechers erlangt, aber die Vollmachten des Präsidenten
des Landes zu übernehmen, dazu hatte er kein Recht.
Folglich hatte auch das Parlament nicht die Legitimation, die
Verteidigungs- und Außenminister zu ernennen, sowie unter anderem den
Generalstaatsanwalt, den Vorsitzenden der Staatssicherheit, die
Gouverneure, die Zusammenstellung des Rates für Nationale Sicherheit und
Verteidigung zu bestimmen und fast sämtliche Verfassungsrichter zu
entlassen. Turtschinow hat kein Recht vor der Amtsenthebung Janukowitschs
das Amt des obersten Befehlshabers der ukrainischen Armee und des
Vorsitzenden des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung zu
übernehmen. Die Anführer der Opposition (und somit auch die dazu
gehörenden Rechtsradikalen) haben in ihren Händen die gesamte
Staatsgewalt konzentriert.
Wie ein Ausweg aussehen könnte
Wie nach solch einer Entwicklung zu erwarten war, äußerte nun der Südosten des Landes
– wenn auch mit einiger Verzögerung – doch erhebliche Unzufriedenheit
mit der neuen Regierung. Russland mischte sich ein, um der
russischsprachigen Bevölkerung seine Unterstützung zu zeigen, und drohte
mit militärischer Intervention in der Ukraine. Es ist offensichtlich,
dass unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden müssen, um einen Kompromiss
herbeizuführen, zwischen allen beteiligten Parteien: dem Osten und
Westen der Ukraine, der EU, den USA auf der einen, und Russland auf der
anderen Seite.
Erstens: Deutschland, Frankreich und Polen laden
jene Parteien nach Berlin ein, welche das Abkommen vom 21. Februar
unterzeichnet hatten sowie einen Repräsentanten Russlands als
Beobachter. Das Treffen hat zum Ziel, die Entscheidungen zu korrigieren,
die gegen das Abkommen verstoßen.
Janukowitsch unterschreibt in Berlin die Erlässe des Parlaments, die
dem Abkommen entsprechen, gegen die restlichen legt er sein Veto als
Präsident ein. Die Anführer der Opposition einigen sich darauf, die
Ämter, welche nur unter der Einbeziehung des Präsidenten zu vergeben
sind, mit neutralen (technischen) Experten zu besetzten. Das Parlament
hebt alle verfassungswidrigen Beschlüsse auf. Dafür braucht es starken
Druck der EU.
Janukowitsch
tritt nach einer von allen Beteiligten gewährten Sicherheitsgarantie
von seinem Amt des Präsidenten der Ukraine zurück, verkündet vorgezogene
Neuwahlen sowohl des Präsidenten als auch des Parlaments.
Die Parteien und die Zeugen beurkunden den Willen, in der neuen
Verfassung die Vollmachten der lokalen Regierungen, insbesondere der Krim,
zu erweitern, speziell mit Hinblick auf kulturelle und wirtschaftliche
Beziehungen zu Nachbarstaaten. Russland überzeugt die Regionalregierung
der Krim, von einem Referendum abzusehen.
Zweitens: Alle Staaten des Budapester Abkommens,
inklusive Russland, garantieren die territoriale Einheit der Ukraine.
Alle russischen Militäreinheiten dürfen nur innerhalb der Basis der
Schwarzmeerflotte stationiert werden.
Drittens: Die Vertreter der EU, Russlands und der
Ukraine beginnen Gespräche zur Bewältigung des möglichen
wirtschaftlichen Konflikts, welcher auf die Unterzeichnung eines
Assoziierungsabkommens der Ukraine mit der EU folgen könnte. Die EU und
Russland verpflichten sich, die Ukraine bei der Bewältigung der
Wirtschaftskrise zu unterstützen.
* Wladimir Malinkowitsch ist Mitverfasser der ukrainischen Verfassung aus
dem Jahr 2004, die nun wieder in Kraft gesetzt wurde. Geboren 1940 in
der Ukraine, war er zur Sowjetzeit in der Menschenrechtsbewegung aktiv.
Später arbeitete er erst als Journalist und dann als Berater des
Präsidenten Leonid Kutschma. Er hat sechs Bücher verfasst.
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