Die gestürzte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch
 Der gestürzte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch  |  © Maxim Shemetov/Reuters

Das in der Ukraine ausgehandelte Abkommen wurde nicht eingehalten. Für eine Lösung muss auch die neue Regierung in Kiew Zugeständnisse machen. Ein Dreipunkteplan von Wladimir Malinkowitsch*


Das am 21. Februar von den Anführern der ukrainischen Opposition und dem Präsidenten Janukowitsch unterschriebene Abkommen sollte einem Kompromiss zwischen den gegnerischen Parteien dienen. Es sollte den drei Monate andauernden zugespitzten gesellschaftlichen Konflikt beenden und eine Stabilisierung der Lage in der Ukraine erreichen. Doch die sogenannte "Realisierung" dieses Abkommens entsprach dann nur dem Interesse einer Seite: der Opposition. Dies lag an der brenzligen Situation in Kiew und den westlichen Regionen nach den blutigen Geschehnissen am 20. Februar (dazu sollte zweifelsohne ein Ermittlungsverfahren unter Einbeziehung internationaler Experten eingeleitet werden). 

Die Gewinner der Kiewer Auseinandersetzung begannen sofort mit umfangreichen politischen Reformen, welche weit über den im Abkommen festgelegten Rahmen hinausgingen. Zur gleichen Zeit aber ignorierten sie grundlegend den Willen von Millionen Bürgern der Süd-Ost-Ukraine. Nicht nur gegen das Abkommen vom 21. Februar verstießen sie mehrfach, sondern auch gegen die Verfassung aus dem Jahr 2004, welche am selben Tag durch das Parlament wieder eingeführt wurde.
Der fatalste Verstoß war, Präsident Viktor Janukowitsch aus dem Amt zu entfernen, ohne dass dieser zurückgetreten wäre oder es eine formale Amtsenthebungsklage gab. Sein Nachfolger Alexander Turtschinow hat zwar auf legitimem Wege und im Rahmen des Abkommens das Amt des Parlamentssprechers erlangt, aber die Vollmachten des Präsidenten des Landes zu übernehmen, dazu hatte er kein Recht.
Folglich hatte auch das Parlament nicht die Legitimation, die Verteidigungs- und Außenminister zu ernennen, sowie unter anderem den Generalstaatsanwalt, den Vorsitzenden der Staatssicherheit, die Gouverneure, die Zusammenstellung des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung zu bestimmen und fast sämtliche Verfassungsrichter zu entlassen. Turtschinow hat kein Recht vor der Amtsenthebung Janukowitschs das Amt des obersten Befehlshabers der ukrainischen Armee und des Vorsitzenden des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung zu übernehmen. Die Anführer der Opposition (und somit auch die dazu gehörenden Rechtsradikalen) haben in ihren Händen die gesamte Staatsgewalt konzentriert. 

Wie ein Ausweg aussehen könnte

Wie nach solch einer Entwicklung zu erwarten war, äußerte nun der Südosten des Landes – wenn auch mit einiger Verzögerung – doch erhebliche Unzufriedenheit mit der neuen Regierung. Russland mischte sich ein, um der russischsprachigen Bevölkerung seine Unterstützung zu zeigen, und drohte mit militärischer Intervention in der Ukraine. Es ist offensichtlich, dass unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden müssen, um einen Kompromiss herbeizuführen, zwischen allen beteiligten Parteien: dem Osten und Westen der Ukraine, der EU, den USA auf der einen, und Russland auf der anderen Seite. 
Erstens: Deutschland, Frankreich und Polen laden jene Parteien nach Berlin ein, welche das Abkommen vom 21. Februar unterzeichnet hatten sowie einen Repräsentanten Russlands als Beobachter. Das Treffen hat zum Ziel, die Entscheidungen zu korrigieren, die gegen das Abkommen verstoßen.

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Janukowitsch unterschreibt in Berlin die Erlässe des Parlaments, die dem Abkommen entsprechen, gegen die restlichen legt er sein Veto als Präsident ein. Die Anführer der Opposition einigen sich darauf, die Ämter, welche nur unter der Einbeziehung des Präsidenten zu vergeben sind, mit neutralen (technischen) Experten zu besetzten. Das Parlament hebt alle verfassungswidrigen Beschlüsse auf. Dafür braucht es starken Druck der EU.
Janukowitsch tritt nach einer von allen Beteiligten gewährten Sicherheitsgarantie von seinem Amt des Präsidenten der Ukraine zurück, verkündet vorgezogene Neuwahlen sowohl des Präsidenten als auch des Parlaments.
Die Parteien und die Zeugen beurkunden den Willen, in der neuen Verfassung die Vollmachten der lokalen Regierungen, insbesondere der Krim, zu erweitern, speziell mit Hinblick auf kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen zu Nachbarstaaten. Russland überzeugt die Regionalregierung der Krim, von einem Referendum abzusehen.
Zweitens: Alle Staaten des Budapester Abkommens, inklusive Russland, garantieren die territoriale Einheit der Ukraine. Alle russischen Militäreinheiten dürfen nur innerhalb der Basis der Schwarzmeerflotte stationiert werden.
Drittens: Die Vertreter der EU, Russlands und der Ukraine beginnen Gespräche zur Bewältigung des möglichen wirtschaftlichen Konflikts, welcher auf die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens der Ukraine mit der EU folgen könnte. Die EU und Russland verpflichten sich, die Ukraine bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise zu unterstützen.  

*  Wladimir Malinkowitsch ist Mitverfasser der ukrainischen Verfassung aus dem Jahr 2004, die nun wieder in Kraft gesetzt wurde. Geboren 1940 in der Ukraine, war er zur Sowjetzeit in der Menschenrechtsbewegung aktiv. Später arbeitete er erst als Journalist und dann als Berater des Präsidenten Leonid Kutschma. Er hat sechs Bücher verfasst.